Hallo,
das, was ich Euch hier erzähle, liegt Jahrzehnte zurück und ich weiß es auch nur, da es mir meine Mutter erzählt hat. Und ich muß da jetzt leider etwas ausholen. Hoffentlich ermüde ich Euch nicht damit.
Also, das Ganze ist schon passiert, bevor meine Mutter auf der Welt war. Meine Großeltern wohnten damals zur Miete in einem Haus in der 3. Etage. Die Hauseigentümer wohnten auf der Etage darunter. Sie hatten ein Fuhrunternehmen, somit auch einen Stall mit 2 Pferden. Auch hatten Sie einen Pferdeknecht angestellt, der in der 1. Etage in einem Zimmer direkt neben dem Hauseingang wohnte. Die Familie der Hauseigentümer bestand aus den Eltern, 2 Töchtern und einer Schwester der Frau, die geistig zurückgeblieben war. Ihr Name war Therese. Sie lebte bei ihnen und kümmerte sich um das Haus und die Küche und jeder hatte sie gern, denn sie hatte ein liebes und freundliches Wesen. Zwischen dem besagten Haus, in dem sie wohnten und dem Nachbarhaus war eine kleine, enge Gasse. In dieser Gasse hatte man die alten Speichenräder der Fuhrwerke gelagert (das muß ich jetzt erwähnen, denn den Grund dafür könnt Ihr dann selber lesen).
Über der Wohnung, wo damals meine Großeltern wohnten, war der Dachboden und dort war das Heu für die Pferde gelagert. In den Sommermonaten wenn es ziemlich heiß ist, ist das gefährlich, denn Heu kann sich sehr schnell entzünden und anfangen zu brennen (war ja früher, als es noch keine Silos gab, oft der Grund, daß ein ganzer Bauernhof abgebrannt ist). In dem besagten Haus war es so, daß es nur auf der 2. und 3. Etage elektrisches Licht gab, und Therese ging Abend für Abend auf den Dachboden mit einer brennenden Kerze in der Hand (da es auf dem Dachboden ja kein Licht gab) und kontrollierte das Heu, faßte es an, ob es evtl. warm war und anfing zu glühen. Meine Großeltern hatten damals natürlich noch keinen Fernseher und ihr Vergnügen war es, immer samstag abends ins Kino zu gehen und Filme anzuschauen. Irgendwann kam diese Therese in die Wechseljahre und ihre Periode blieb aus. Da sie aufgrund ihrer Behinderung nicht richtig aufgeklärt war, hat sie sich nun eingebildet, sie bekäme ein Kind. Was natürlich nicht der Fall war. Aber es hat sie sehr beschäftigt und sie hat es allen erzählt. Nun war es so, daß meine Großeltern wieder mal an einem Samstagabend im Kino waren und als sie zurückkamen, ging Therese wie gewohnt mit der Kerze in der Hand auf den Dachboden. Meine Oma sagte noch zu ihr. "Du, wir kommen gerade aus dem Kino. Ich habe Marmorkuchen und wir trinken jetzt noch Kaffee. Wenn Du vom Dachboden herunterkommst, dann klopfe doch noch bei uns. Du kannst gerne noch mit uns Kaffee trinken und Kuchen essen." Sie hat nicht geklopft und meine Oma hat dann eben gedacht, daß sie halt nicht wollte. Am anderen Morgen in aller Frühe, klopften die Hausleute bei meinen Großeltern an. Therese ist nachdem sie das Heu kontrolliert hatte, zum Dachbodenfenster - das eben in Richtung dieser Gasse zum Nachbarhaus ging, hinausgesprungen und fiel auf diese Speichenräder. Sie war nicht sofort tot, sie hat noch 1 oder 2 Tage gelebt. Aber dann ist sie gestorben.
Das war die Vorgeschichte. Nun zu dem Wesentlichen. Meine Oma war Mitglied eines Gesangsvereins und meine Mutter hat zeitlebens Akkordeon gespielt, war also auch in einem Verein und manchmal, wenn Mama nach der Probe - und nach dem darauf folgenden geselligen Beisammensein
- nach Hause kam, passierte es ihr, daß sie ins Haus hineinging und hinten an der Wand eine kleine Kerzenflamme sah. Sie hat es so beschrieben, als würde jemand hinten im Hausgang stehen und sich mit dem Feuerzeug eine Zigarette anzünden. Zu der Zeit hatten die Hausleute kein Fuhrunternehmen mehr und auch keinen Pferdeknecht. Und der Gang ging einfach gerade aus nach hinten weg und endete mit einer Wand. Also, keine Tür, durch die einer hätte mal kurz herein- oder herausgehen können oder ein Fenster, durch das irgendein Lichtschein hätte dringen können. Und da war auch keine Treppe, die zu einem Keller geführt hat. Es war einfach nur ein normaler Gang. Und am Ende vom Gang einfach nur eine Wand. Da konnte also keiner sein. Also, wenn sich irgendein Spaßvogel einen makabren Scherz erlaubt hätte, hätte er keinen Fluchtweg gehabt. Er hätte den Gang entlang zur Haustür hinaus müssen. Meine Mutter ging dann nie mehr allein ins Haus, wenn sie heimkam. Ihr damaliger Freund mußte mit ins Haus kommen und er hat sie zuerst ausgelacht, als sie ihm von der Flamme erzählt hat. Bis er es einmal selber erlebt hat und den Gang nach hinten lief um denjenigen zu packen, der da so einen üblen Streich spielt. Aber da war keiner! Meine Mutter hat dann meiner Oma davon erzählt, die ja auch wegen ihrer "Singerei" im Gesangsverein oft spätnachts heimkam. Und Oma reagierte gelassen und hat gesagt, daß sie das auch schon oft gesehen hat und sie glaubt, das wäre der Geist von Therese.
1963 hat meine Familie eine Wohnung gekauft und 1964 zogen sie in diese Wohnung ein. Es ist die Wohnung, in der ich geboren wurde und nun immer noch wohne. Als ich noch Kind war, hat meine Mutter mir nie von diesem Spuk in der anderen Wohnung erzählt, weil sie wußte, daß mir das Angst machen würde. Aber wir waren trotzdem öfters in dieser Wohnung, da die beiden Töchter der ehemaligen Hausleute dort immer noch wohnten und wir sie besuchten. Mir war immer unheimlich in diesem Haus. Erst viel später habe ich erfahren, daß viele Leute wußten, daß es in diesem Haus spukt. Aber Ihr wißt ja, keiner hat sich getraut, das öffentlich zu sagen. Mittlerweile sind die beiden Frauen verstorben. Das Haus wurde abgerissen und es wurde dort ein Parkhaus gebaut. Ich weiß nicht, wie es sich mit Spuk verhält. Sollte Therese immer noch dort umgehen, fällt das jetzt natürlich keinem mehr auf. Denn wenn man in einem Parkhaus eine Kerzenflamme sieht, ist ja wohl klar, daß sich jemand eine Zigarette ansteckt.
So, tut mir leid, wenn mein Bericht so lang geworden ist, aber ich trage das schon so lange mit mir herum und bin froh, daß ich es endlich mal jemandem erzählen konnte.
Liebe Grüße von Rapunzel